Die Komplexität des Sexualstrafrechts
Das Sexualstrafrecht gehört zu den anspruchsvollsten Bereichen des Strafrechts und erfordert eine Kombination aus juristischer Präzision und psychologischem Verständnis. Die Vorwürfe sind breit gefächert und umfassen unter anderem die Vorwürfe der Vergewaltigung, Besitz kinderpornografischen Materials, sexuelle Nötigung, sexueller Übergriff, sexuelle Belästigung und Kindesmissbrauch.
Ernstzunehmende Vorwürfe
Für die Beschuldigten steht viel auf dem Spiel. Der Vorwurf eines Sexualdeliktes ist ein sehr ernstzunehmender Vorwurf und geht nicht nur mit einem Ermittlungsverfahren, einer etwaigen öffentlichen Anklage und einer drohenden Freiheitsstrafe einher. Oft sind die Beschuldigten bereits im Ermittlungsverfahren einer Vorverurteilung und gesellschaftlichen Ausgrenzung ausgesetzt. Der Vorwurf eines Sexualdelikts ist schnell gemacht und für die Beschuldigten nicht selten der Beginn eines beruflichen und sozialen Ruins. Falschbezichtigungen im Sexualstrafrecht sind keine Seltenheit, weshalb oftmals völlig Unschuldige mit schwersten Vorwürfen konfrontiert sind.
Überhaupt spielen Aussagen im Sexualstrafrecht häufig eine wesentliche Rolle. Dies gilt insbesondere für den Vorwurf der Vergewaltigung. Deshalb ist im Sexualstrafrecht die sogenannte Aussagemotivation genau zu untersuchen. Gerade bei der bewussten Falschaussage, also der bewussten Lüge und Falschbezichtigung, ist der Auslöser dieser nicht selten ein Racheakt. Das können so banale Auslöser sein, wie die Enttäuschung über den Verlauf eines Dates oder ein “abblitzen lassen”. Aber auch der “Rosenkrieg” nach langjährigen Beziehungen oder der Streit um das Sorgerecht der Kinder endet nicht selten mit dem Vorwurf eines Sexualdelikts. Der Anzeigenerstatterin ist die Tragweite der Vorwürfe meist gar nicht bewusst. Ist ein solcher Vorwurf erst einmal ausgesprochen, setzen sich die “Mühlen der Justiz” in Bewegung. Die Staatsanwaltschaft wird ein Ermittlungsverfahren einleiten und der Anzeigenerstatterin oftmals einen “Opferkredit” geben. Das bedeutet, dass die Ermittlungsbehörden von der Wahrheit der belastenden Aussage ausgehen. Deshalb benötigt auch der zu Unrecht Beschuldigte bereits im Ermittlungsverfahren dringend die Hilfe eines Strafverteidigers, der im Sexualstrafrecht tätig ist. Von allein werden sich die Ermittlungsbehörden in den seltensten Fällen von der Unschuld überzeugen lassen. Zudem ist das Wichtigste, dass der Beschuldigte zu den Vorwürfen schweigt. Andernfalls wird unbemerkt wertvolle Verteidigungsstrategie zerstört.
Die belastende und stressige Situation einer öffentlichen Anklage zu vermeiden, ist Aufgabe der Strafverteidigung.
Aussage-gegen-Aussage
Innerhalb des Sexualstrafrechts kommt es besonders häufig zu sogenannten Aussage-gegen-Aussage-Konstellationen. Vor allem beim Vorwurf der Vergewaltigung ist dies der Regelfall. Das bedeutet, dass neben der belastenden Aussage der Anzeigenerstatterin keine weiteren Beweismittel der angeblichen Tat zur Verfügung stehen.
Auch das Vorliegen eines DNA-Gutachtens im Rahmen eines Vergewaltigungsvorwurfes ändert daran nichts. In vielen Ermittlungsakten finden sich DNA-Gutachten, welche den Nachweis von Spermaspuren erbringen und so den Geschlechtsverkehr nachweisen sollen. Gleichwohl kann immer noch eine Aussage-gegen-Aussage-Konstellation vorliegen. Denn bei Vergewaltigungsvorwürfen geht es nicht um die Frage, ob ein Geschlechtsverkehr stattfand, sondern nur darum, ob dieser unfreiwillig erfolgte. Für dieses Kerngeschehen steht in den meisten Fällen einzig die belastende Aussage zur Verfügung.
Eine Aussage-gegen-Aussage-Konstellation liegt also immer dann vor, wenn sich zwei konträre Aussagen gegenüberstehen und es keine weiteren unmittelbaren Zeugen gibt. Eine Aussage-gegen-Aussage-Konstellation liegt aber auch vor, wenn der Beschuldigte die Vorwürfe pauschal bestreitet oder gänzlich schweigt. Letzteres ist für die Verteidigung die beste Situation. Es ist dringend davon abzuraten eine Aussage zu tätigen. Erst recht nicht ohne vorherige Rücksprache und Akteneinsicht durch einen Strafverteidiger. Jede Äußerung des Beschuldigten wird Eingang in die Ermittlungsakte finden und kann bewertet und gewürdigt werden. Ein Schweigen wird dagegen niemals einen Nachteil für den Beschuldigten bringen, da es nicht gegen ihn verwendet werden darf. Schweigt der Beschuldigte ist dies einem Bestreiten gleichzusetzen und den Ermittlungsbehörden bleibt einzig die Aussage der Anzeigenerstatterin. Dies ist die optimale Situation für eine Verteidigungsstrategie.
Unschuldsvermutung bei Aussage-gegen-Aussage
Oft hört man dass wegen der Unschuldsvermutung bei Aussage-gegen-Aussage gar keine Verurteilung stattfinden könne und das Verfahren automatisch einzustellen bzw. der Beschuldigte zwingend freizusprechen sei. Das ist leider nicht der Fall und ein Irrtum. Gerade bei Vergewaltigungsprozessen liegt oftmals nur die Aussage der Belastungszeugin vor. Diese Prozesse enden nicht selten mit hohen Freiheitsstrafen. Grund dafür ist, dass das Gericht die Aussage zu bewerten hat. Hält das Gericht die Aussage für glaubhaft, bildet es hieraus die Überzeugung für eine Verurteilung und verhängt eine hohe Freiheitsstrafe. Verurteilungen sind also aufgrund nur einer einzigen Aussage möglich und finden auch regelmäßig statt. Die Unschuldsvermutung -entgegen landläufiger Meinungen- führt bei Aussage-gegen-Aussage-Konstellationen also nicht dazu, dass es zu keiner Verurteilung kommt.
Aussagepsychologie und ihre Bedeutung
Psychologische Gutachten und die Analyse von Aussagen spielen in solchen Verfahren eine zentrale Rolle. Mithilfe der Aussagepsychologie werden Aussagen auf sogenannte Realkennzeichen untersucht – Merkmale, die darauf hinweisen, dass eine Aussage auf einem tatsächlichen Erlebnis basiert. Gleichzeitig werden mögliche Fehlerquellen, etwa durch Suggestion oder unbewusste Verzerrungen, analysiert. Auch die Unterscheidung zwischen bewussten und unbewussten Falschaussagen kann entscheidend sein, um die Glaubhaftigkeit von Aussagen zu bewerten.
Inhaltsanalyse sowie die genaue Untersuchung der Aussagegenese, die Fehlerquellenanalyse und die Bewertung der Aussagemotivation sind nach den Vorgaben des Bundesgerichtshof zwingend zu beachten. Denn in Aussage-gegen-Aussage-Konstellationen erfolgt eine Verurteilung einzig aufgrund einer belastenden Aussage. Diese Grundsätze stammen aus der Aussagepsychologie. Gerichte nehmen in vielen Fällen jedoch nicht die Hilfe von Aussagepsychologen in Anspruch, sondern entscheiden aus eigener Sachkunde heraus. Deshalb ist es wichtig, dass ein Strafverteidiger beauftragt wird, der sich mit dieser Materie auskennt. Ob und inwieweit es sinnvoll ist, einen Aussagepsychologen zu beauftragen, wird ein erfahrener Strafverteidiger für Sexualstraftaten beurteilen können.
Diesem Vorgehen liegt nach den Maßstäben des Bundesgerichtshofs die Rechtsprechung zur sogenannten “Null-Hypothese” zugrunde. Vereinfacht gesagt geht man im Rahmen der Null-Hypothese zunächst davon aus, die Aussage der Anzeigenerstatterin sei unwahr. Die Aussage ist dabei so lange zu negieren, bis eine Negation mit den gesammelten Fakten nicht mehr vereinbar ist. Dabei sind die obigen aussagepsychologisch anerkannten Maßstäbe anzuwenden und weitere Hypothesen zu bilden. Die Unwahrheit der Belastungsaussage ist also nach den Maßstäben der Rechtsprechung zur “Null-Hypothese” positiv zu widerlegen.
Schweigerecht als Verteidigungsstrategie
Das wichtigste Verteidigungselement in solchen Verfahren ist das Schweigerecht. Erfahrene Strafverteidiger für Sexualstraftaten raten den Beschuldigten dringend, zu den Tatvorwürfen zu schweigen. Erst nach Akteneinsicht durch den Strafverteidiger kann eine Verteidigungsstrategie erarbeitet werden und eine etwaige Einlassung des Beschuldigten über den Strafverteidiger besprochen werden.
In Aussage-gegen-Aussage-Konstellationen wird es in den weit überwiegenden Fällen Sinn machen, dass der Beschuldigte weiterhin schweigt. Hier ist das Schweigerecht die wertvollste Verteidigungsstrategie und die beste Grundlage für die Arbeit der Strafverteidigung. Gerade bei Vergewaltigungs- und Kindesmissbrauchsvorwürfen liegt oftmals allein die belastende Aussage vor. Hier gilt es, diese unter Beachtung der obigen hohen Maßstäbe zu bewerten. Für die Überzeugungsbildung des Gerichts, die Aussage sei wahr, gelten sehr hohe Hürden. Aufgabe der Strafverteidigung ist es, diese Aussagen kritisch zu untersuchen und auf Widersprüche hinzuweisen.
Bei Vorliegen einer belastenden Aussage denken viele Menschen, dass es Sinn macht eine “Gegenaussage” zu tätigen. Auch das ist ein Irrtum. Der Grund dafür liegt darin, dass Menschen dazu neigen, sich zu rechtfertigen. Dieses Vorgehen ist im Rahmen von Aussage-gegen-Aussage-Konstellationen sogar äußerst gefährlich. Denn sobald die Ermittlungsbehörden oder das Gericht eine Äußerung des Beschuldigten haben, können und werden sie diese bewerten. Oftmals kommen diese dann zu dem Schluss, die Aussage des Beschuldigten sei eine reine Schutzbehauptung und bewerten diese als unglaubhaft. Das passiert ebenso bei Unschuldigen, weil Ermittlungsbehörden und Gerichte den Anzeigenerstattern nicht selten einen “Opferkredit” geben und von der Glaubhaftigkeit der Aussage der Anzeigenerstatterin ausgehen. Mit einer Aussage kann sich der Beschuldigte also schnell und oft auch unbemerkt “um Kopf und Kragen” reden. Ein Schweigen hingegen führt niemals zu einem Nachteil für ihn. In Aussage-gegen-Aussage-Konstellationen sollte der Beschuldigte deshalb nur seinen Verteidiger reden lassen.
Frühzeitige Unterstützung im Sexualstrafrecht
Im Sexualstrafrecht ist es entscheidend, frühzeitig rechtliche Unterstützung zu suchen. Dies gilt insbesondere im Ermittlungsverfahren, um strategische Fehler zu vermeiden und die Verteidigung bestmöglich durchzuführen. Mit einem fundierten Ansatz, der psychologische und juristische Expertise vereint, kann eine belastende, öffentliche Anklage verhindert werden. Voraussetzung hierfür ist, dass frühzeitig ein Strafverteidiger kontaktiert wird, der sich mit der Verteidigung im Sexualstrafrecht und der Materie der Aussagepsychologie auskennt. Keinesfalls sollte man sich darauf verlassen, dass die Ermittlungsbehörden von allein erkennen, dass ein Verfahren eingestellt werden soll. Die Materie des Sexualstrafrechts ist komplex und geht seitens der Ermittlungsbehörden nicht selten mit dem beschriebenen “Opferkredit” einher. Ziel der Strafverteidigung ist es, bereits im Ermittlungsverfahren umfangreich tätig zu werden und eine öffentliche Anklage zu vermeiden.
Kontakt
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Rechtsanwalt Christian Gotthardt